Wien/Salzburg, am 09.09.2022. Die starke Inflation und Konjunktursorgen, in Europa zusätzlich befeuert durch die Energiekrise, strapazieren die Nerven der Marktteilnehmer. Einmal mehr wird von den Notenbanken erwartet, dass sie handeln. Deutlich steigende Leitzinsen sind die logische Folge. Die dementsprechende Ankündigung der US-Notenbank enttäuscht die Sehnsucht der Aktienanleger nach einem raschen Ende der restriktiven Geldpolitik. Ein kurzfristiger Schmerz ist langfristigen wirtschaftlichen Beschwerden vorzuziehen, so das Motto. Die Notenbanken sind nicht dazu da, es allen recht zu machen – sie kehren vielmehr zu ihren traditionellen Rollen zurück. Christian Nemeth, Chef Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, analysiert die aktuelle Notenbankpolitik.
Jerome Powell hat wie erwartet beim Meeting in Jackson Hole Ende August zum weiteren Kurs der Fed Stellung bezogen. Man müsse sich darauf einstellen, dass es eher zu einer längeren Zinsanhebungsphase kommen werde. Denn die Inflation bildet sich im Moment nicht zurück, selbst in den von der Energiekrise nicht so sehr betroffenen USA. Wir rechnen für Ende 2022 weiterhin mit einem Leitzinsniveau von 4 Prozent und erwarten beim Zinsentscheid der Fed am 21. September eine Erhöhung um 75 Basispunkte.
Akupunktur besser als langfristiger Schmerz
Powell zufolge sei es vielleicht besser, kurzfristig einen gewissen Schmerz zu erzeugen, als die Inflation aus dem Ruder laufen zu lassen. Das würde nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die Realwirtschaft stark schwächen. Dann würde den Unternehmen die Kalkulationsbasis fehlen, was zu großen Verwerfungen im Wirtschaftsleben und auch unangenehmen Effekten im Bereich der Verteilung führt. Wenn Preissteigerungen erwartet werden, könnten etwa Güter bewusst zurückgehalten werden. Verzerrungen wie diese will niemand und daher ist es wohl besser, für gewisse Zeit in den sauren Apfel zu beißen. Die Fed versucht derzeit, mehr auf das sogenannte „Frontloading“ zu setzen. Das bedeutet, durch schnelleres Handeln in Form von kurzfristig stärkeren Anhebungen rascher einen Effekt zu erzielen als in weiterer Folge ein Niveau in Kauf zu nehmen, das für die Wirtschaft nicht verträglich ist.
In Europa ist die Situation komplizierter, weil die Region viel heterogener ist. Wir haben etwa in Frankreich eine Inflationsrate von „nur“ etwas mehr als sechs Prozent, in den baltischen Staaten hingegen liegt sie bei bis zu 25 Prozent. Dieses Problem haben die USA nicht, die Unterschiede zwischen West- und Ostküste sind geringer. Was noch dazu kommt ist, dass wir in Europa mit der Gasabhängigkeit ganz anders betroffen sind, unser Wirtschaftswachstum generell nicht so stark ist und wir auch Schulden-Sorgenkinder wie Italien haben. All das führt zu einer Gemengelage, in der die europäische Zentralbank nicht nur auf die Wirtschaftsdaten schauen kann. Gerade am aktuellen Rand hat die EZB aber in dieser schwierigen Frage Haltung bewiesen. Mit der Entscheidung den Leitzinssatz um 0,75% zu erhöhen unterstreicht sie die Wichtigkeit der Stabilität des Euros. In den letzten Jahren wurde immer wieder über eine zu lasche Haltung und Anlehnung an die Politik debattiert. Auch wenn der Inflationstrend damit noch nicht unmittelbar gebrochen wird, ist der erfolgte große Zinsschritt als markantes Zeichen zu werten.
Fokus der Notenbanken wieder mehr auf Preisstabilität
Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass das primäre Mandat der Notenbanken nicht die Wirtschaftspolitik – hier sind Regierungen zuständig – sondern Preisstabilität ist. Die Notenbank hat kein Interesse daran, eine Rezession heraufzubeschwören. Aber auch wenn diese der Preis wäre, müsste sie sich auf alle Fälle auf ihr ursprüngliches Mandat rückbesinnen. Wir rechnen in unseren aktuellen Prognosen, dass die europäische Wirtschaft Ende des Jahres in eine zumindest kurzfristige Rezessionsphase fallen wird.
Hauptauftrag der Notenbanken ist derzeit ganz klar die Sicherung der Geldwertstabilität. Notenbanken haben zwar keine direkte Handhabe auf Preise. Sie können nur über Zinsen die Angebots- und Nachfrageseite beeinflussen. Indem sie die generellen Finanzbedingungen am Markt verschärfen und die Zinsen anheben, wird in Folgewirkung weniger Nachfrage erzeugt und dadurch kommt es wieder zu einem besseren Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Damit sollten die Preissteigerungen zumindest nicht weiter voranschreiten und sich dann mittelfristig wieder zurückbilden.
Inflationsbekämpfung Teil der Notenbank-DNA
Dieses prinzipielle Muster der Notenbankpolitik ist vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten, weil wir in den letzten 10, 20 oder 30 Jahren eher von Deflationsängsten gesprochen haben. Das war die Phase, wo die Notenbanken mit unkonventionellen Maßnahmen wie Quantitative Easing oder Kurvenkontrolle wie in Japan gearbeitet haben. Jetzt kommt eher wieder das traditionelle Instrumentarium zum Einsatz und das ist vielleicht für einige ein wenig überraschend. Auch wenn man in die letzte Hochinflationsphase in den Siebzigerjahren zurückgehen muss, handelt es sich jedoch prinzipiell um die einfachere Übung, da die Mechanismen seit vielen Jahrzehnten erprobt sind und die Notenbanken eine lange Erfahrung bei dieser Aufgabe haben.
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